Es ist geschafft! 42,195 Kilometer sind geschafft. Es war ein hartes Stück Arbeit, mit viel Schweiß, viel Schmerz und auch sehr viel Spaß. Noch immer fällt es mir schwer, meine Gedanken zu sortieren und meine Gefühlswelt zu beschreiben. Wahrscheinlich ist das Erlebte noch zu “frisch”, um es rational zu erklären, aber das will ich auch gar nicht. Ich denke, jetzt ist der beste Zeitpunkt für einen kleinen Bericht vom letzten Sonntag in Hannover. Bühne frei!
Der Countdown läuft – Meet and Greet mit den Hahner-Twins
Die Woche bzw. die Tage vor dem Marathon waren extrem ereignisreich und aufregend. Da das Knie noch immer nicht 100 Prozent fit war und mir eine Menge an Trainingseinheiten fehlten, hatte ich Zweifel ob ich überhaupt ins Ziel komme. Deshalb beschränkte sich meine Vorbereitung auf: Mentales Training, Essen und Ausruhen.
Das Marathon-Wochenende ging für mich schon am Donnerstagabend los – unser ganz persönlicher runskills-Fanclub reiste an. Freitag hatte ich frei, denn es ging nach Hannover zur offiziellen Pressekonferenz zum Auftakt des 25. Hannover Marathon. Mit dabei die Hahner-Zwillinge Lisa und Anna, sowie einige meiner Jubiläumsläufer-Kollegen. Wie du weißt, wurde ich ja als Jubiläumsläufer und Botschafter auserkoren, um für Hannover zu starten.
Es war natürlich großartig die größten Hoffnungsträger im Laufsport zu treffen und auch ein Autogramm von der Marathon-Siegerin Souad Ait Salem abstauben zu können. Mit hilfreichen Tipps und einer gehörigen Portion Motivation von Lisa und Anna, konnte als gar nix mehr schief gehen. Nachdem ich dann auch endlich die Startunterlagen in den Händen hielt, fühlte es sich “fertig” an. Jetzt gab es kein zurück mehr. Jetzt ist es soweit. Der erste Marathon in meinem Leben kann kommen!
Raceday – Die Stunden davor
Die Nacht vor einem Wettkampf ist immer die aufregendste (deshalb ist übrigens die vorletzte Nacht immer die wichtigste, um Schlaf zu tanken). Man wird oft wach, wälzt sich von links nach rechts, hat Magengrummeln und wilde Träume. Aber irgendwie gehört das ja dazu! Um 5 Uhr ging es raus aus den Federn, Mutti machte die perfekte Lauffrisur und es gab ein kleines Frühstück, d.h. ca. 20 g Haferflocken mit Wasser und einer halben Banane sowie ein Glas Wasser mit Magnesium. Das sollte als Grundlage reichen, auch wenn sich das nicht so viel anhört. Fertig gestylt und mit Turnbeutel bepackt fuhren wir gegen 6.45 Uhr los, um auch wirklich pünktlich anzukommen. Es ist enorm wichtig am Wettkampftag nicht gestresst und unter Hektik am Veranstaltungsgelände zu sein, denn sonst stehen die Sterne für einen guten Lauf nicht so gut. Nachdem wir die Zeit ganz gut umbekommen hatten, unser Fanclub ebenfalls bereit war, ging es auch schon zur Startlinie. Zusammen mit den “Scorpions” und “Rock you like a hurricane” fiel um 9 Uhr der Startschuss für die 42,195 Kilometer…
Der Fanclub ist bereit…
Der Lauf meines Lebens –
die ersten 20 Kilometer
Ich hatte keine Ahnung wie es laufen wird, ich hatte keinen Plan für eine bestimmte Zeit – das einzige was ich wollte war, verletzungs- und schmerzfrei ins Ziel zu kommen. Irgendwie. Irgendwann. Aber nicht Irgendwo. Die ersten
3 Kilometer vergingen wie im Flug. Das ist eigentlich immer so, da man am Anfang erst einmal seinen “Platz” in der Masse finden muss und man noch total von der Atmosphäre geflasht ist. Die einzige Sorge die ich die ganze Zeit hatte war, ob das Knie hält. Ich hatte vorsichtshalber vor dem Start eine Schmerztablette genommen und hatte auch ein paar als Notration dabei. Ich wollte aber ohne durchkommen und sie wirklich nur im allergrößten Notfall nehmen. Im anderen Socken hatte ich mein Notfall-Gel, falls ich sofort Zucker brauchte. Ich muss sagen, dass die ersten 10 Kilometer so schnell an mir vorbeigingen, dass ich kaum realisierte was ich da eigentlich mache. Irgendwann sah ich dann sogar den großen, gelben Ballon mit der riesigen Zahl “04:00″… Er war nicht wirklich weit weg, vielleicht 2 Minuten. DAS war mein Ziel, VOR der Verletzung. Ich wollte die 4-Stunden knacken. Aber ich hatte meine Ziele anders gesteckt und das war auch gut so. Schon recht früh begann ich mit “Doping” und nahm ein Gel nach dem anderen und die Quittung folgte ca. bei Kilometer 12, als ich das erste Mal Magenprobleme bekam. Zum Glück bekam ich das durch ruhiges und kontrolliertes atmen und laufen in den Griff und stopfte mich an der nächsten Verpflegungsstation mit Bananen voll. MEINE RETTUNG! Der Magen beruhigte sich und ich bekam einen richten “Lauf”. Und dann geschah das UNFASSBARE – ich überholte den Pacemaker und seinen blöden gelben Ballon…
Runner’s High
WOW! Die Häfte ist geschafft. Den Rest schaff ich doch noch locker! Die Stimmung an der Strecke sowie die Verpflegung waren einfach der H-A-M-M-E-R! Ohne die Unterstützung der Zuschauer und die tolle Arbeit der Freiwilligen wäre ich niemals so gut durchgekommen. Dafür: HUT AB und weiter so! Ihr wisst gar nicht, wie wichtig ihr für uns seid! Beflügelt vom unbeschwerten und leichten laufen, wurde ich immer besser und besser. Mein Magen war wieder OK, ich hatte keine Schmerzen und ich war top motiviert – was sollte da noch schief gehen. Das Wissen, den dämlichen gelben Kack-Ballon hinter mir zu haben und gerade eine absolute Bestzeit anzuvisieren, ließen mich unsterblich wirken. Ich erinner mich noch, dass ich Mutti und Holch am Rand sah und ihnen euphorisiert zuschrie: “Ich bin unter 4 Stunden. Guck, der Ballon ist hinter mir.” Eigentlich war das ja gar nicht mehr mein Plan, aber dann wendete sich das Blatt und ich wollte UNBEDINGT das Tempo halten und aller Welt beweisen, dass man ALLES schaffen kann, wenn man nur will. Aber natürlich machte ich die Rechnung ohne meine Beine…
Mein ganz persönlicher Tiefpunkt
Ich glaube, ganze 5 Kilometer hielt ich das Tempo bis ich irgendwann auf dem Asphalt einen grooooßen, runden Schatten sah, gefolgt von einer Menschentraube – immer näher auf mich zukommend… Da war er!
Mein schlimmster Alptraum. Dieser verkackte Scheiß-Ball mit dieser bekloppten Zielzeit von 4 Stunden!
Welche Sau will bitte unbedingt 4 Stunden laufen? Wozu braucht man so einen verschissen Arsch-Ballon? Was soll dieser Zeitdruck? Wollen wir nicht einfach nur Spaß haben?
Diese Dinge gingen mir durch den Kopf, als die komplette Meute samt Ballon förmlich an mir vorbeiflogen. Gut, dass wars! Aus der Traum vom “Wunder von Hannover”. Neuer Plan: Ankommen ist alles und auf KEINEN FALL gehen. Immer in Bewegung bleiben. Durchhalten. Beißen.
Wann hört diese Scheiße endlich auf?
Runner’s High? Luftig leicht laufen? Pfff… Alles Pustekuchen. Ab Kilometer 32 wurde es nur noch eine Qual. Man kämpfte sich von Kilometer zu Kilometer, von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation. Die Zuschauer, die Musik und die Atmosphäre konnte ich an diesem Punkt nicht mehr genießen, geschweige denn wahrnehmen. Mir ging die Sonne auf den Sack, es war so verdammt heiß. Mir war schlecht von ca. 8 Energie-Gels, ich hatte sau schwere Beine, mein Arsch tat weh – einfach alles schmerzte. Und dann der Ruf eines Jungen aus dem Publikum: “Loooooos. NUR NOCH 10 Kilometer!” – Ich lasse das mal lieber unkommentiert. Ich war auf jeden Fall ein klein wenig “erbost”.
Irgendwie schaffte ich es, mich bis zu Kilometer 37 durchzubeißen aber da fing die Qual erst richtig an. Es ist so verdammt demotivierend, wenn 80 Prozent der Läufer links in Richtung Ziel abbiegen und du rechts abbiegen musst. Ab da nahm das Elend seinen Lauf. Jeder Schritt schmerzte und jede Bewegung war ein Kampf. Viele Läufer sind bereits gegangen und machten kleine Pausen. DAS wollte ich auf gar keinen Fall. Mein Körper allerdings schon. Und so kam es, dass ich nicht nur den Ballon aus den Augen verlor, sondern auch mein Ziel, nicht gehen zu müssen. Ich musste zweimal gehen. Vielleicht nur 10 Sekunden jeweils, aber ich hatte keine andere Wahl. Die Schmerzen hatten gesiegt. Bis ich mir sagte, dass ich jetzt beißen muss. Das ich jetzt ALLES geben muss. Das es kein zurück mehr gibt und das Ziel, das Zeil auf welches man ein halbes Jahr hintrainiert hat, zum greifen nah ist…
Helene Fischer schmettert mich
ins Ziel
Und dann war es am Horizont zu sehen: das Ziel. Es schien nicht mehr weit zu sein und doch waren es lange, seeeeeeeeeehr lange 900 Meter, auf denen ich meine letzten Energie-Gels wegschmiss und meine allerletzten Kräfte mobilisierte. Ich konnte gerade so noch Dennis am Rand erkennen, wie er mir zuschrie. Ich quälte mich, ich war kurz vor dem Tod, ich war einfach nur am Ende bis ich den Refrain von Helene Fischers Song “Atemlos” hörte und einen Satz über die Ziellinie machte, um dann zu Boden zu gehen…
Tränen, Schmerzen, Freude
Diese drei Wörter fassen die Situation, in der ich mich am Ende befand, am besten zusammen. Vor allem aber waren es Tränen der Freude und Erleichterung, es ENDLICH geschafft zu haben. Dieses Gefühl, diesen Moment kann dir keiner mehr nehmen. Ein unbeschreibliches Gefühl endlich im Ziel zu sein, die Medaille zu bekommen und nach Hause zu fahren. Am Ende des Tages ging es mir körperlich sehr schlecht. Ich hatte Magenschmerzen und Durchfall und kann bis jetzt nicht laufen, habe höllische Knieschmerzen, bin saumüde und total platt. Und auch in diesem Moment, wo ich diesen Text schreibe, fallen mir fast die Augen zu und meine Beine sind immernoch hart wie Beton. Aber, wie sagt man so schön: Der Schmerz geht, aber der Stolz bleibt.
Danke Hannover – du warst wie immer großartig und Danke an meine Willenskraft, dass sie so stark ist und ich jetzt weiß, dass man ALLES schaffen kann!
Bleibt stark!
Kommentare (8)
Glückwunsch zum Finish! Bis auf die Magenprobleme und Durchfall erinnert mich das auch etwas an meinen ersten Marathon. Die Qualen ab Km 30 können die Hölle sein. Aber mit Schmerzmitteln an den Start zu gehen ist grob fahrlässig. *fingerzeig* Wünsche euch eine gute Regeneration!
*verschämt wegschau* Ich weiß, aber es hat mir ein sicheres Gefühl gegeben. Und letztendlich muss es dann jeder für sich selbst entscheiden. Jetzt hat das Knie erstmal viel Zeit um gesund zu werden 🙂
Von mir auch nochmal: Ganz herzlichen Glückwunsch ! Ein toller Bericht ! So richtig spannend und bewegend.Ich habe mitgefiebert und mitgelitten. Und meinetwegen hättest du jeden einzelnen KM beschreiben können.
Weißt du schon, ob die Magenprobleme von den Gels kommen ? Weiterhin gute Besserung ! Und ja die Schmerzmittel sehe ich auch kritisch. Kann dich aber auch verstehen.
Liebe Grüße
Claudia (cla62runner)
Hi! Vielen Dank 🙂 Da ich im Moment mit einem Magen-Infekt kämpfe, könnte ich mir vorstellen das ich zu diesem Zeitpunkt bereits was hatte, aber diese Unmengen an Gels waren glaube auch sehr viel für meinen Magen. Durch Wasser und Banane hab ich das aber gut in den Griff bekommen…
Glückwunsch für Euch beide, mußtest dich schon ganz schön überwinden.Darauf kannste stolz sein und beim nächstenmal weißte, daß nicht nur powergel das rennen macht.Atze
Ja Babb, das nächste Mal gibts weniger Gels
Gratuliere ganz herzlichst. Auch zu dem tollen Bericht.
Dass du nach 8 (acht!!) Energie-Gels überhaupt ins Ziel gekommen bist, ist noch mal eine Bewunderung mehr wert. Ich hatte auf meinem Marathon vier und ich glaub mindestens einer davon war nur für die Psyche. Was mir allerdings geholfen hat: auf der letzten Station einen Becher Cola. Danach hätte ich noch gefühlt einen Ultra laufen können.
Krass, die Cola hab ich gar nicht runterbekommen. Wie unterschiedlich das doch ist 🙂 Die Gels waren teilweise hilfreich und teilweise auch Psyche…Noch einen Ultra? Hut ab! Bei mir war wirklich die Luft raus…